
Warum eine Website über Trump? Wozu dient dieses Projekt?
Eine Einleitung und Vorwort
Der Morgen des 9. November 2016 in Berlin ist klar und kühl. Auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor ist es still, für die Touristengruppen ist es noch zu früh. Nach und nach kommen die Journalisten der Hauptstadtpresse in das elegante Gebäude der amerikanischen Botschaft, durchqueren die Eingangshalle und nehmen in dem kleinen Konferenzraum Platz. Viele Gespräche gibt es nicht. Die Presseleute der Botschaft begrüßen die Ankommenden, zwischendurch geht ihr Blick immer wieder auf das Handy, wo die Website der New York Times minutengenaue Zwischenstände der Wahl vermeldet. Pennsylvania steht noch aus, Wisconsin und Michigan. Um 6:31 Uhr meldet AP, dass Trump Wisconsin gewonnen hat. Die Wahl ist entschieden.
John Emerson betritt den Konferenzraum eine gute halbe Stunde später. Emerson, der US-Botschafter, ist ein persönlicher Freund Barack Obamas, er hatte große Summen für dessen Wahlkampf gespendet. Ein bisschen sieht man ihm an, dass er in der Nacht von einem Interview zum anderen geeilt ist. Seine Amtszeit in Berlin wird mit dem Tag der Amtsübernahme durch Obamas Nachfolger enden, er hat pro forma bereits sein Rücktrittsschreiben nach Washington gesandt. Emerson lächelt viel, wenn er spricht. Er spricht über demokratische Ergebnisse, die es in jedem Fall zu akzeptieren gelte. Erklärungen hat er nicht. Auch in dem Teil, der per ausdrücklichem Hinweis „off the record“ ist, kommt kein böses Wort über seine Lippen. Es gibt ein paar Fragen dazu, wie dieses oder jenes jetzt weitergehen würde. Emerson weiß es nicht.
Jeder amerikanische Präsident hat seinen Platz im Geschichtsbuch bekommen. Dabei wurden kleine Rollen vergeben wie die für den außerhalb der USA kaum bekannten Benjamin Harrison oder große wie die für Franklin D. Roosevelt, in dessen Amtszeit die Antwort der USA auf den Zweiten Weltkrieg fiel. Es wird oft behauptet, dass ein Präsident während seiner Amtszeit immer mit einem Auge darauf schielt, als wie wichtig er in der Historie dereinst dargestellt werden wird. Bei einem Blick auf die Präsidentschaft Donald Trumps ließ sich im Prinzip vom ersten Tag an sagen, dass sie eine der bedeutsamsten in der Geschichte des Landes sein wird.
Donald Trumps Kandidatur und seine Zeit im Weißen Haus markieren in vielerlei Hinsicht eine Zäsur. Egal ob absichtlich oder zufällig, ob Stilmittel oder Versehen; dieser Präsident war anders als alle anderen vor ihm. Seine Amtszeit war von Anfang an begleitet von einem nie abreißenden Strom an Aufregern, Skandalen und Schlagzeilen. Nicht nur in den USA, auch im Rest der Welt konnte man jegliche Äußerung des Präsidenten in den Medien finden und es gab unzählige Momente, in denen selbst die erfahrensten Journalisten mit sich ringen mussten, um das Geschehene in Worte zu fassen. Sehr oft folgten die neuen Meldungen so schnell aufeinander, dass dem Medienkonsumenten kaum Zeit blieb, alles Geschehene zu verarbeiten, bevor die nächste Schlagzeile erschien. Weil Donald Trump scheinbar jeden Tag etwas Neues für die Nachrichten ablieferte, verloren die einzelnen Ereignisse an Bedeutung und manches, was eben noch ein Aufhänger für erregte Diskussionen war, war wenige Wochen später schon fast wieder vergessen.
Zur kontinuierlichen öffentlichen Aufregung rund um Donald Trump trugen viele Faktoren bei. Zum einen die Tatsache, dass niemand damit rechnete, dass er tatsächlich Präsident werden würde – wohl auch Trump selbst nicht. So gab es kaum Ansprechpartner für ausländische Regierungen in den verschiedenen Fachgebieten; mancher Regierungschef wusste nicht einmal, welche Telefonnummer für die Glückwünsche zu benutzen war. Dass das Team Trump in höchstem Maße unvorbereitet war auf die Aufgaben einer Präsidentschaft, zeigte sich auch in ständigen Personalwechseln und hunderten unbesetzten Stellen in Ministerien und Behörden. Zum anderen bedeutete die Amtsübernahme durch Trump eine komplette, allumfassende Abkehr von all dem, wofür Obama gestanden hatte. Klimaschutz, Freihandel, internationale Zusammenarbeit; alles das stand plötzlich zur Disposition und nicht einmal zur NATO mochte der neue Amtsinhaber sich spontan bekennen. Das sorgte für große Unsicherheit außerhalb der USA und Kolumnisten und Experten versuchten dieser Unsicherheit mit wortlastigen Beiträgen zu begegnen. Dazu gab es unzählige Fragen zu der jahrelang diskutierten Russlandaffäre rund um die Beeinflussung der Wahlen durch den Kreml und die Frage, welche von Trumps unerfahrenen Helfern in welchem Maße mit den Russen kooperiert hatten. Der wichtigste Faktor jedoch war immer die Persönlichkeit Trumps. Mit einem Hang zu Superlativen und einer Abneigung gegenüber tiefgehenden Erklärungen, mit begrenztem und schon allein dadurch undiplomatischem Sprachgebrauch und, wie die Washington Post mit einer fortlaufenden Dokumentation belegte, tausenden öffentlichen Lügen war Donald Trump eine Persönlichkeit, wie es sie auf der internationalen politischen Bühne selten oder nie gegeben hat.
Diese Website versucht, die Präsidentschaft Trump zu ordnen. Im Hauptteil werden in chronologischer Reihenfolge die einzelnen Ereignisse der Kandidatur und der Trump-Präsidentschaft nachgezeichnet. Dazu kommt eine Kurzvorstellung der vielen Personen, die im Laufe der Trump-Präsidentschaft eine Rolle gespielt haben und zusätzlich werden einige der wichtigsten Themenkomplexe dieser turbulenten Zeit kompakt zusammengefasst.
An dem Versuch, all die Geschehnisse zu katalogisieren, einzuordnen und miteinander in Zusammenhang zu bringen, auch das muss erwähnt werden, sind viele Medienleute gescheitert. Oft wurden Berichte und Artikel von Meinungen und Einstellungen gefärbt. Auch diese Tatsache hat sicher dazu beigetragen, dass Donald Trump den Umfragewerten zufolge etwa in Deutschland zu einem der unbeliebtesten Präsidenten der amerikanischen Geschichte wurde. Es ist schwer, keine Meinung zu haben zu einem Präsidenten, der nachweislich regelmäßig lügt und dessen Name in Verbindung mit Skandalen steht, die es in dieser Form nie zuvor gegeben hat.
Es wäre falsch, die Ära Trump abzutun als eine Zeit, in der jemand im Weißen Haus saß, der eben ein bisschen anders war als alle anderen Politiker. Trumps Verteidiger bejubeln den Bruch mit politischer Korrektheit und das kompromisslose Durchsetzen eigener Interessen jenseits diplomatischer Gepflogenheiten. Doch Trumps Stil war mehr als nur eine ungewöhnliche Herangehensweise, es war der Versuch, eine neue Ordnung zu etablieren. Das zeigte sich deutlich in seiner offensichtlichen Begeisterung für autokratische Herrscher und für die Charakteristiken diktatorischer Systeme. So zeigte Trump sich beispielsweise begeistert von der unterwürfigen Berichterstattung nordkoreanischer Medien beim historischen Treffen mit Kim Jong-Un in Singapur im Juni 2018, während er die heimischen Medien als falsch, verlogen und politisch motiviert ansah. Ein Präsident, der das Programm des populistischen Kanals Fox News live auf Twitter begleitet und gleichzeitig etablierte und hochangesehene Medien wie die Washington Post, die New York Times und andere zum „schlimmsten Feind des Landes“ erklärt, der denkt dabei nicht nur an erweiterte Perspektiven in der journalistischen Berichterstattung, sondern der sehnt sich nach einer Gleichförmigkeit, wie man sie nur aus Diktaturen kennt.
Als Beobachter von außen muss man sich fragen, wo die Opposition in Amerika geblieben ist. Warum gingen nicht mehr Leute auf die Straße? Warum gab es keinen offeneren Widerstand in den Behörden, beispielsweise gegen die Zerstörung der Natur im Interesse rückständiger Energiepolitik? Innerhalb weniger Monate hatten Trump und seine Gefolgsleute sich die einstmals ehrenwerte Republikanische Partei einverleibt. Kritik kam nur von solchen republikanischen Politikern, die ohnehin aus dem Politikbetrieb aussteigen wollten; doch Kongressabgeordnete, die für eine Wiederwahl kämpfen mussten, wagten die offene Opposition schnell nicht mehr. Auch die Partei, die es zugelassen und teilweise unterstützt hat, wie amerikanische Grundwerte sabotiert und erodiert wurden, muss in der Zeit nach Trump dringend eine radikale Umkehr einleiten und gewissenhafte Aufarbeitung betreiben, wenn sie wieder sie selbst sein will. Im September 2018 wurde bekannt, dass der stellvertretende Justizminister zumindest einmal angedacht haben soll, den 25. Zusatzartikel der Verfassung zu nutzen. Dieser sieht vor, dass ein Präsident seines Amtes enthoben werden kann, wenn er physisch oder mental nicht in der Lage ist, sein Amt auszuüben. Allein die Tatsache, dass solche Überlegungen angestellt wurden; allein die Tatsache, dass mehrere Frauen Vorwürfe sexueller Übergriffe gegen den Präsidenten erhoben und dass die ganze Welt monatelang dabei zusah, als über die Zahlung von Schweigegeldern an Playmates und ehemalige Pornodarstellerinnen diskutiert wurde; allein dies sagt sehr viel darüber aus, wie sehr Trump das ehrenhafteste Amt der USA beschädigt hat und wie sehr es für die Partei Abraham Lincolns nötig gewesen wäre, dieser Beschädigung entschieden entgegenzutreten.
Stattdessen entwickelte sich die „Grand Old Party“ der Republikaner im Laufe der Zeit zu einem Club mit Führerkult, in dem es nur noch darum ging, nicht bei Trump in Ungnade zu fallen. Ted Cruz, einst Gegenkandidat Trumps um die Nominierung, bezeichnete Trump 2016 als „pathologischen Lügner und komplett unmoralisch“. Derselbe Ted Cruz sorgte dafür, dass es im Amtsenthebungsverfahren 2020 nicht einmal eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Vorwürfen im Senat gegeben hat. „Er ist ein Verrückter, er ist ungeeignet für das Amt“, sagte Lindsey Graham ebenfalls 2016. Schon 2017 griff er andere hart an, die Trump als verrückt bezeichneten und wurde zum liebsten Golfpartner des Präsidenten. Trotz vielfältiger Beweise und Argumente dafür, dass Trump ungeeignet für seine Aufgabe war und das Amt vielfach missbrauchte – Beispiele sind der Bericht von Robert Mueller, die Ukraine-Affäre und die Beeinträchtigung der Post im Wahljahr – stand zumindest die vorderste Front der Republikaner immer wie eine Mauer um Trump. Berichte über Kopfgeldzahlungen Russlands für ermordete US-Soldaten in Afghanistan, ohne dass Trump darauf reagierte, sorgten ebenso wenig für Entrüstung bei den Republikanern wie die Tatsache, dass die USA rund 400.000 Tote in der Corona-Pandemie zu verzeichnen hatten, weil Trump es für richtig hielt, die Gefahren herunterzuspielen und das Weiße Haus über Monate nicht dafür sorgte, dass die Seuche eingedämmt werden konnte.
Auf der anderen Seite wirkten die Demokraten zu lange wie betäubt von der überraschenden Niederlage Hillary Clintons und suchten danach lange vergeblich nach führenden Persönlichkeiten, die in der Lage waren, den Widerstand gegen Trump zu einer schlagkräftigen Bewegung zu vereinen oder zumindest die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf die immer eklatanter zutage tretende Verächtlichmachung der amerikanischen Demokratie durch Trump zu richten. Letztlich trat im Jahr 2020 mit Joe Biden ein Kandidat für die Demokraten an, der fast schon so etwas wie das Sinnbild des Washingtoner Establishments ist und der der älteste Kandidat aller Zeiten war.
Und auch den Medien muss ein Vorwurf gemacht werden, denn sie boten Trump ein Sprachrohr, durch das er unwidersprochen Aussagen in die Öffentlichkeit schicken konnte, die schon auf den ersten Blick als Lügen oder Verzerrungen zu erkennen waren. Durch die Wiederholung solcher Unwahrheiten, millionenfach in den sozialen Medien über sich immer weiter radikalisierende Anhänger und tausende von Bots, sowie über die Hausberichterstatter bei Fox News, Breitbart, The Daily Caller und anderen Medien, kam selbst den absurdesten Aussagen noch die Möglichkeit zu, dass sie vielleicht doch ein Fünkchen Wahrheit enthalten könnten. Die Demokraten haben das lange zugelassen und konnten der plötzlichen Hoffähigkeit „alternativer Fakten“ zu lange zu wenig entgegensetzen. Vor den so wichtigen Kongresswahlen im November 2018 war erstmals wieder Kampfeslust bei ihnen zu erkennen und ein energisches Vorgehen gegen die neuen Realitäten, die Trump zu etablieren versuchte. Augenscheinlich wurde das im erbitterten Ringen gegen Trumps Kandidaten für das oberste Richteramt, Brett Kavanaugh. Doch auch als dieser sich Vorwürfen sexuellen Missbrauchs gegenübersah und Trump ihm zur Seite sprang, indem er sich verächtlich über das Opfer des Übergriffs äußerte; selbst bei dieser Ungeheuerlichkeit blieb ein deutlicher Aufschrei in der amerikanischen Bevölkerung aus.
Was aus all dem folgte, war der Sturm auf das Capitol im Januar 2021, eine der schwärzesten Stunden der amerikanischen Demokratie und sichtbarer, erschütternder Ausdruck darüber, wie weit gewisse Teile der Bevölkerung in die Sphären aus Lügen, Verleumdung, Verschwörungstheorien und Staatsablehnung abgerutscht waren, die Trump in dieser extremen Form erst geschaffen hatte.
„Ich könnte jemanden auf der Fifth Avenue erschießen und damit davonkommen“, hatte Trump während des Wahlkampfs einmal geprahlt und was anfangs als irrsinniges Szenario galt, zählte Monate später zu den glaubwürdigeren Aussagen. Immer weiter dehnte Trump das Spektrum dessen, was gesagt werden kann. Als eine Untersuchung ergab, dass James Comey zwar nicht richtig, aber auch nicht mit krimineller Absicht gehandelt hatte – während der Clinton-Email-Affäre, die einen gehörigen Anteil daran hatte, dass Trump überhaupt erst gewählt wurde – da twitterte Trump am selben Tag, Comey sei kriminell. Als es einen internationalen Aufschrei darüber gab, dass amerikanische Grenzschützer illegalen Einwanderern die Kinder wegnehmen und weit entfernt unterbringen, was dazu führte, dass einige Familien sich nie wiedersahen, da stellte sich Trump vor die Kameras und behauptete, das sei ein Gesetz der Demokraten, das diese beenden müssten – obwohl die Republikaner die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses hielten und Trump die unmenschliche Vorgehensweise als Druckmittel nutzte, um die Demokraten zur Zustimmung zu seinen Mauerbauplänen zu bringen. Viele andere der abenteuerlichen Behauptungen Trumps; etwa die, dass Obama ihn im Trump Tower habe abhören lassen, waren da längst vergessen. In der Zwischenzeit hatten die Republikaner mit massiven Steuersenkungen zugunsten der wohlhabenden Bevölkerungsschichten die Gräben der US-Staatsverschuldung weiter vertieft, während sich Trump, seine Familie und von ihm eingesetzte Leute wie Scott Pruitt völlig ungehemmt aus den Kassen des Staates bedienten und bereicherten. Als dann im Jahr 2020 Trumps mutwillige Missachtung der Ratschläge von Wissenschaftlern und das monatelange Herunterspielen der Gefahren der Corona-Pandemie dazu führten, dass die USA mehr als fünf Millionen Infizierte und mehr als 180.000 Tote zu verzeichnen hatten, mehr als jedes andere Land, da war Trumps Spruch vom Schießen auf der Fifth Avenue tausendfach zur Realität geworden.
Die Watergate-Affäre 1972 war von Journalisten aufgedeckt worden und das folgende Amtsenthebungsverfahren von Nixons eigener Partei, den Republikanern, eingeleitet worden. Im Falle Trumps versagten alle diese Funktionen der einstmals stolzen Demokratie Amerikas, beziehungsweise kamen lange Zeit nicht über leisen Protest hinaus. Die hehren, lange sorgfältig kultivierten Ideale von Pressefreiheit und Gewaltenteilung wurden verschüttet und begraben unter einem endlosen Strom aus Entgleisungen, Lügen und Ungeheuerlichkeiten. Das irgendwann endlich eingeleitete Verfahren zur Amtsenthebung war von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil klar war, dass die republikanische Mehrheit im Senat ihren Präsidenten trotz dessen offensichtlicher Gesetzesbrüche nicht angreifen würde.
In der Zeit nach Trump wird es für Amerika schwer sein, dahin zurückzukehren, wo das Land einmal war. Das gilt sowohl für die schwerwiegenden inneren Spannungen und der immer deutlicher werdenden Entfremdung verschiedener Teile der Bevölkerung voneinander als auch für das äußere Ansehen der USA, das in allen befreundeten Nationen schweren Schaden genommen hat. Die Chronologie der Trump-Jahre ist daher auch eine Warnung, indem sie aufzeigt, wie Amerika nach und nach den Weg genommen hat hin zu einem Land, das viel Vertrauen verspielt und dass alte demokratische Merkmale hinter sich gelassen hat.
Disclaimer: Der Autor dieser Website arbeitete von 2015 bis 2019 als fester Vertragspartner für die US-Botschaft in Deutschland.