Als Trump im Januar 2021 noch während der Amtseinführung von Joe Biden sang- und klanglos aus Washington verschwand, schienen seine Tage auf der großen Bühne vorüber zu sein. Zwei Wochen zuvor hatte er seine Anhänger zum Sturm auf das Kapitol angestiftet, internationales Entsetzen ausgelöst und den Grund für ein erneutes Amtsenthebungsverfahren geliefert, das das Ziel hatte, ihm für immer den Zugang zum Weißen Haus zu verwehren. Die Hoffnung aber, dass das unrühmliche Kapitel Trump damit abgeschlossen sein könnte, hat sich nicht bewahrheitet.
Man hätte annehmen können, dass sich die beiden großen Parteien des Landes nach den staatszersetzenden Vorfällen in Folge der Wahl 2020 darauf hätten verständigen können, dass so etwas nie mehr passieren darf. Betrachtet man die politischen Realitäten in den USA im Jahr darauf, so ist davon allerdings nichts zu sehen. Die Republikaner weigerten sich zum größten Teil, im Untersuchungsausschuss zu den Vorgängen vom 6. Januar 2021 teilzunehmen und auch der Gedenkansprache von Joe Biden zum ersten Jahrestag des Ereignisses blieben viele von ihnen fern. Die wenigen innerparteilichen Trump-Kritiker haben sich wie Jeff Flake aus der aktiven Politik zurückgezogen oder wurden wie die Abgeordnete Liz Cheney von der Spitze der Republikaner ins Abseits gestellt. Teilweise werden republikanischen Kandidaten für Sitze im Kongress, die nicht auf Trumps Seite sind, innerparteiliche Gegenkandidaten vor die Nase gesetzt. Noch immer sitzen zahlreiche erklärte Trump-Unterstützer in Repräsentantenhaus und Senat und für die Kongresswahlen 2022 tritt sogar mindestens ein Kandidat in den Reihen der Republikaner an, die aktiv beim Angriff auf die US-Demokratie dabei waren.
Auch wenn Trump selbst und einige seiner treuesten Unterstützer von den sozialen Medien wie Twitter gesperrt wurden, sind die Auswirkungen des Trumpismus noch immer im ganzen Land zu spüren. Umfragen zufolge glauben noch immer 40% der Amerikanerinnen und Amerikaner, dass Biden unrechtmäßig Präsident sei. Auf diesem Bodensatz gedeihen unterdessen Pläne, dass Trump 2024 erneut zur Wahl antreten könnte.
In der Republikanischen Partei ist ein Jahr nach Trumps Abgang niemand zu sehen, der dem Ex-Präsidenten Paroli bieten könnte, wenn es in die Vorwahlen geht und wenn es einen solchen Kandidaten geben würde, hätte dieser mit heftigem Gegenwind zu rechnen. Und sollte Trump sich tatsächlich zu einer neuen Kandidatur entschließen und die innerparteilichen Vorwahlen gewinnen, hätte er gute Chancen bei der Präsidentschaftswahl. Joe Biden wäre im Wahlkampf bereits 82 Jahre alt, wenn er noch einmal antritt und vermutlich noch weniger als beim letzten Mal in der Lage, den bösartigen Attacken Trumps etwas entgegenzusetzen. Tritt Biden nicht noch einmal an, stünden die Demokraten erneut vor dem Problem, einen Kandidaten oder eine Kandidatin finden zu müssen, mit dem sich eine möglichst breite Bevölkerungsgruppe ansprechen lässt – also eher nicht die dem linken Spektrum zuzuordnenden Alexandria Ocasio-Cortez oder die ewige Alternative Bernie Sanders.
Eine erneute Wahl Trumps kann also keineswegs ausgeschlossen werden. Was ein einst in Schimpf und Schande aus dem Weißen Haus gejagter Trump bei einer erneuten Amtszeit der amerikanischen Demokratie antun könnte, mag man sich nicht ausmalen. Doch selbst wenn es Trump nicht wird, dürfte für die Republikaner auf jeden Fall ein Kandidat ins Rennen gehen, der in der Tradition Trumps steht. Um die Wählerinnen und Wähler davon zu überzeugen, dass dieses Szenario abgewendet werden muss, haben die Demokraten nur wenig Zeit.